Mensch. Gesundheit. Medizin.
 
 
 
 

Blinde Untersucherin ist im Dienst

11.03.2023

Die Gynäkologische Abteilung des Krankenhauses bietet besondere Tastuntersuchungen der Brust an.

Die Medizinische Tastuntersucherin Tanja Royé arbeitet eng mit Chefarzt Stephan Ganz zusammen. Ihre Fähigkeit: Sie kann schon kleinste Veränderungen der Brust ertasten.

Wenn eine Frau den Raum betritt, dann merkt Tanja Royé ganz genau, wie es ihr geht. Ob sie fröhlich und entspannt, angespannt oder ängstlich ist. Tanja Royé spürt Dinge, die andere nicht einmal erahnen. Die Soesterin ist von ihrer Kindheit an sehbehindert – und vor gut 13 Jahren machte die heute 40-Jährige aus ihren besonderen Fähigkeiten und Interessen eine Lebensaufgabe: „Ich habe vorher im kaufmännischen Bereich gearbeitet, war aber immer schon an medizinischen Themen interessiert.“

Also bewarb sich Tanja Royé bei „Discovering Hands – und wurde eingestellt. Die Initiative mit Hauptsitz in Mülheim an der Ruhr bildet blinde und sehbehinderte Frauen zu Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTU) der weiblichen Brust aus. Das heißt, sie suchen gezielt nach Veränderungen im Gewebe. Als MTU arbeitet Tanja Royé in gynäkologischen Abteilungen verschiedener Kliniken und Praxen – und seit Donnerstag auch in der Gynäkologie des Wermelskirchener Krankenhauses, wo sie bereits die ersten Patientinnen untersucht hat.

„Weil wir nicht über den Sehsinn verfügen, sind unsere anderen Sinne, insbesondere auch der Tastsinn, sehr gut ausgeprägt, was sich bei einer intensiven Untersuchung der Brust natürlich auszahlt“, erklärt Royé.

Ausbildung zur MTU dauert ein Jahr

Trotz dieses ausgeprägten Tastsinnes durchlaufen die MTU eine derzeit einjährige Ausbildung bei „Discovering Hands“. „Die beinhaltet viel theoretisches Wissen, zum Beispiel über den Aufbau der Brust“, sagt die MTU. „Ich habe aber auch Praktika in verschiedenen gynäkologischen Praxen gemacht.“

Die Untersuchung beginnt bei Tanja Royé mit einer gegenseitigen Begrüßung und einer Anamnese. „Das heißt, ich frage zum Beispiel ab, ob es schon mal Probleme oder Erkrankungen an der Brust gab“, erklärt sie. Das Prozedere beginnt dann auf der Liege im Sitzen.

Später wird im Liegen weiter untersucht; dabei klebt Tanja Royé spezielle Streifen auf der Brust der Patientin auf. „Damit wird die Brust in Untersuchungsareale unterteilt. „Wenn ich den Medizinern von Veränderungen berichte, mache ich das nach dem Uhrzeitenprinzip“, sagt sie. „Das heißt zum Beispiel, bei 12 Uhr in diesem Areal gibt es eine Veränderung.“ Sie untersucht in drei Schichten: direkt unter der Haut, im mittleren Gewebe und nah am Brustkorb. Erkennen kann sie mit ihrer Untersuchungsmethode Tumore, die bis zu 0,5 Zentimeter klein sind. „In der Praxis entdecken wir bei den Tastuntersuchungen oft erst viel größere“, sagt Chefarzt Stephan Ganz.

Die Zusammenarbeit sei eng. „Wenn ich etwas entdecke, übernimmt Herr Ganz direkt“, sagt sie. „Wir schicken die Patientin nicht nach Hause. Sie wird dann sofort vom Mediziner mit Ultraschall untersucht.“ Denn nicht immer, betont Tanja Royé, seien ertastete Befunde eine bösartige Erkrankung der Brust. Es gebe auch Zysten oder andere gutartige Veränderungen.

Je nach Größe der Brust dauert die Untersuchung 30 bis 60 Minuten. Tanja Royé nimmt sich Zeit in dem angenehm ausgestatten Raum mit großer Liege und freundlichen Bildern an den Wänden. „Zeit, die wir als Mediziner im stressigen Praxisalltag logischerweise nicht aufbringen können“, räumt Stephan Ganz ein.

„Die Frauen sind dankbar für das Angebot“, hat Tanja Royé erfahren. Das hätten sie ihr auch schon bei ihrem ersten Termin in Wermelskirchen gespiegelt. „Zurzeit bieten wir die Sprechstunde jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat an“, sagt Stephan Ganz. „Wir können uns aber auch vorstellen, dass wir das bei großem Interesse erweitern.“

Bis zu zweimal im Jahr können Frauen jeden Alters bei Tanja Royé in die Sprechstunde kommen. Für zu Hause empfehlen sie und der Chefarzt Frauen eine Tastuntersuchung der Brust einmal pro Monat, möglichst kurz nach dem Einsetzen der Periode. „Bei Frauen, die sie nicht mehr bekommen, immer einmal an einem festen Tag“, sagt Stephan Ganz. Und Tanja Royé ergänzt: „Auch dafür sollte man sich immer Zeit nehmen.“

Hintergrund und Kontakt

Die Tastuntersuchungen mit Tanja Royé finden immer am zweiten und vierten Donnerstag im Monat statt. „Wir können uns bei großem Interesse auch vorstellen, die Sprechstunden zu erweitern“, sagt Chefarzt Stephan Ganz bereits nach dem ersten Tag.

Termine können in der gynäkologischen Praxis im Krankenhaus unter Tel. (0 21 96) 98-40 68 vereinbart werden. Die meisten Krankenkassen übernehmen die Kosten für diese Untersuchung; wahrnehmen können sie Frauen jeden Alters.

Standpunkt von Anja Carolina Siebel: Beitrag zur Vorsorge

Vorsorgeuntersuchungen sind wichtig. Das steht außer Frage. Denn mit einem guten Vorsorgekonzept kann man zwar vielleicht keine Erkrankung abwenden. Aber man kann viele frühzeitig entdecken und hat somit bessere Heilungschancen. Die Brustuntersucherin der Medizinischen Tastuntersucherin wird von den meisten Krankenkassen bezahlt. Und Frauen können sie sogar halbjährlich vornehmen lassen. Anders als die Ultraschalluntersuchung der Brust, die als sogenannte IGEL-Leistung nicht von den Kassen getragen wird und in der Regel 50 Euro kostet.

Die Mammografie indes wird erst ab einem Alter von 50 Jahren empfohlen, so dass viele jüngere Frauen sich auf die Tastuntersuchung zu Hause oder beim Gynäkologen beschränken – wenn überhaupt. Das zusätzliche Angebot am Krankenhaus, das alle Frauen wahrnehmen können, ist also eine große Bereicherung – und ein guter Beitrag zur Vorsorge.

Quelle: Remscheider General-Anzeiger (11.03.2023)

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